Aus dieser Sache kommt der Wulff nicht raus. Zumindest nicht, ohne größeren Schaden zu nehmen. Das Ansehen der Nation scheint in Gefahr, ganz zu schweigen von der Vorbildwirkung des Präsidenten. Christian Wulff gibt scheibchenweise seine Verfehlungen zu, notfalls durch den Druck der Medienarmada. Doch bleibt die Frage: Welche Verfehlungen? Sind es die Konditionen des Privatkredites mit den runden 2 Prozent Zinsen?
Immerhin brachte „Die Welt“ schon Mitte 2011 einen ausführlichen Artikel über Geschichte und Verhältnis von Wulffs Schwester – aus deren Sicht natürlich. Diese war beim Vater aufgewachsen, Christian Wulff bei seiner Mutter. Das sie beide eine schwierige Kindheit hatten und der Christian es trotzdem bis ins höchste Amt dieser Nation geschafft habe. Die Distanz zwischen beiden sei nun „… unermesslich groß geworden“.
Genau diese Distanz – oder sagen wir besser „Unnahbarkeit“ – scheint Wulffs wirkliches Problem und er befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Auch Wulfs Vorgänger, Horst Köhler, schien unantastbar zu sein und rüffelte öffentlich die Politik. Das seine, am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gemachten Äußerungen ihm das staatsmännische Genick brechen würden, hatte auch er zunächst sicher nicht auf dem Zettel.
Ein Auszug:
„Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. … Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten, mit anderen Nationen auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen, einer Resolution der Vereinten Nationen. … Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“
Das ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, auf Köhlers Äußerung mit einem Vergleich zur historischen „Kanonenbootpolitik“ reagierte, klingt angesichts der Zustimmung der ehemaligen Umweltschützer zur Nutzung deutscher Einrichtungen für Kriegseinsätze im Irakkrieg wie Hohn. Auch stünde Köhler mit der Rechtfertigung bewaffneter Außenhandelspolitik nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes, so Trittin. Und soweit zum Ex-Präsidenten.
Und Wulff? Er hat übertrieben, überspannt, Medienkontakte ge- und dann missbraucht, hat die eigene Unnahbarkeit ausgereizt und geglaubt, nichts werde ihn jemals belasten können. Er, der einst als mitteorienrierter und künftiger Kanzler der Deutschen gesehen und damit Angela Merkels Konkurrent in den eigenen Reihen wurde, er fliegt jetzt auf und damit in Ungnade.
„Die Schlinge zieht sich enger“, „Ist dieser Präsident noch zu halten?“, „Der Druck auf den Bundespräsidenten wird immer stärker“ …. oder lieber gleich: „Wulf auf die Schlachtbank, schlachtet ihn!“
Doch halt: Im politischen System Deutschlands ist Sauberkeit gar nicht vorgesehen, ist die Verschmelzung von politischen und wirtschaftlichen Interessen ein normaler Vorgang. Wer das nicht sieht, macht sich für den Moment blind, um sich später massenkompatibel sehend zu geben. Parallel verläuft durchaus eine andere, unbewusste Zusammenarbeit, die prächtig funktioniert: Jene zwischen Mensch und Medien. Wir alle frieren bereits, wenn ein großes Boulevardblatt nur penetrant genug über einen kommenden Jahrhundertwinter schreibt.
Es bleibt dabei. Aus seiner Geschichte heraus ist der gemeine Deutsche inzwischen ein Gutmensch, ein Gerechter, Anwalt der Masse, Meinungsrichter über die Herrschenden – immer im Bündnis mit den Medien. Nicht diese schreiben über Volkes Meinung; es ist umgekehrt.
Und wie ein ungeliebtes Kind, dass nicht ausschließlich „böse“ sein möchte, geht immer etwas mit faulen Kompromissen, der Lüge in die eigene Tasche: Neue Verkehrswege ja, aber bitte auf seltene Frösche achten! „Wohlstand ja, aber Umweltschutz“, „Frei wählen ja, aber saubere Politik“, „Modernisierung ja, aber sichere Arbeitsplätze“.
Schafe im Wulffspelz eben …