Bereits seit gefühlten Jahrzehnten wird der gemeine Deutsche ganz dezent mit dem Holzhammer auf die drohende Überalterung der Nation hingewiesen. An manchen Tagen fühle ich mich nach dem „Heute Journal“ bereits so um die achtzig. Gibt es den „demographischen Wandel“ überhaupt? Und was hat dies mit dem Arbeitsmarkt zu tun? Wird hier seit Jahren geschwindelt und gelogen, so dass sich die berühmten Balken aus echter deutscher Eiche biegen? Ich mache mich auf die Suche nach Antworten.
Die Statistik
Zunächst rolle ich die Sache statistisch auf, denn auch hier gilt: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Die offiziellen Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes sollen mir glaubhaft machen, dass Menschen in Deutschland immer länger leben. Dabei handelt es sich um reine Modellrechnungen! Ich suche nun beim Statistischen Bundesamt konkrete Zahlen von Geburten und Sterbefällen und finde lediglich Beispiele, welche Berechnungsmethoden angewandt werden können – also nach dem Prinzip „was wäre, wenn“.
Nach einigen Recherchen finde ich diese Zahlen dann unter der Rubrik „Wirtschaft und Statistik“. Dort sind sie aufgelistet, die Anzahl der Geburten, mit Angaben diverser Größenordnungen. Etwas tiefer stehen die Zahlen über die Sterbefälle und siehe da: die Zahl der Todesfälle übersteigt die Zahl der Geburten erheblich, Tendenz steigend. Wenn ich nicht völlig daneben liege, findet also tatsächlich keine Überalterung, sondern eine Verjüngung der Gesellschaft statt.
Doch warum dann kaum ein Tag ohne Horrormeldung zum „demografischen Wandel“? Meine These: Arbeitnehmer sollen private und unwirtschaftliche Rentenversicherungen abschließen und das Prinzip dürfte sich auch auf Pflege- und Krankenversicherungen anwenden lassen. Oder besser gesagt: es wird bereits erfolgreich angewendet! Haben deutsche Finanzwirtschaft und Politik den Sekt kaltgestellt?
Ich komme zur Wirtschaft und starte einen Ausflug in die Geschichte: Kamen im Jahr 1900 12,4 Erwerbsfähige (15-64 Jahre) auf eine alte Person (über 64 Jahre), so waren es 50 Jahre später nur noch 6,9. Im Jahre 2000 waren es 4,1 und für 2050 werden 2,0 prognostiziert. Was ich da sehe, ist nicht wirklich überraschend: Bereits seit über einhundert Jahren unterliegt die Gesellschaft – statistisch gesehen – dem „demographischen Wandel“ und lustig daran ist, dass dieser auch ohne die heute vorausgesagten Folgen eingetreten wäre.
Nach Logik der Demografie-Apokalyptiker müssten wir so seit etwa einhundert Jahren immer mehr verarmen, da immer weniger Erwerbstätige immer mehr Nicht-Erwerbstätige versorgen sollen. Der Wohlstand insgesamt nahm aber zu – und das beträchtlich. Ganz nebenbei hat sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in den letzten einhundert Jahren (inflationsbereinigt) etwa verzehn- bis verzwanzigfacht. Rasanter technischer Fortschritt, höhere Arbeitsproduktivität bei niedrigem Lohnniveau im Verhältnis zeigen mir den tatsächlichen Weg.
Der Arbeitsmarkt
Trotz aller Beruhigungspillen, dass ältere Arbeitnehmer aufgrund der Demografie „bessere Chancen als je zuvor“ hätten und quasi das beschlossene höhere Rentenalter diese Entwicklung schon voraussieht, stimmt dies natürlich so nicht. „Politische Suggestion“ heißt hier die Zauberformel, denn tatsächlich wird auch aus oben genannten Gründen die Luft für ältere Arbeitnehmer immer dünner. Die statistisch nachweisbare Verjüngung der Gesellschaft spiegelt sich also spätestens auf dem Arbeitsmarkt wieder.
Ein großes Boulevardblatt hat kürzlich eine Analyse des Job-Netzwerks „Xing“ veröffentlicht. „Demnach hat fast jede zweite Führungskraft (44%) spätestens mit dem 30. Lebensjahr ihr eigenes Team. Zwischen 30 und 40 nimmt die Chance auf Führungsverantwortung im Schnitt jedes Jahr um rund 10% ab. Im Alter von 40 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit bei nur noch zirka 12 Prozent mit 50 Jahren dann lediglich bei etwa 1 Prozent. Die Chance, im Job einen Chef-Posten zu bekommen, ist mit 30 Jahren am höchsten. Einzig in der Werbebranche haben unter 30jährige schon Führungsverantwortung. Hier haben rund 90 Prozent der Chefs ihr Team bereits schon mit 28 Jahren übernommen. Bereits mit 35 liegt die Chance auf eine Führungsposition in der Werbung nur noch bei 21 Prozent, im Alter von 40 bei 9 Prozent.“
Das diese Einschätzung nicht nur (aber auch) auf Führungskräfte zutreffen mag, kann ich umgehend bestätigen: Seit Jahren sehe ich mich auf dem Arbeitsmarkt der Selbständigen und Unselbständigen inmitten eines Heeres junger, williger und vor allem preisgünstiger Arbeitskräfte, die massenhaft die deutschen Univerwahranstalten verlassen und das pralle Agenturleben von Neun bis Neun genießen wollen. Zusätzliche Konkurrenz lauert tückisch in den Flanken links und rechts und wurde vor allem in den letzten zehn Jahren durch allerlei bunte Bildungsträger umgeschult – auch mit Zertifikat, versteht sich.
In der grauen Theorie müsste der medial verbreitete „akute Fachkräftemangel“ also eigentlich locker zu beheben sein – egal, durch welche Generation. Doch sollte es nicht besser heißen: „akuter Fachkräftemangel bei Billiglohnkräften“? 2009 erschien übrigens „Meinungsmache: Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“, in dem Publizist Albrecht Müller (siehe Video) die These vertritt, dass die öffentliche Meinung mit systematisch inszenierten Kampagnen beeinflusst werde.
Quellen: Wikipedia, M. Schlecht „Mythos Demografie“, BILD
Mehr Infos: Publikationen Statistisches Bundesamt