Geschichte

Willkommen im Biedermeier!

Soziale Kälte, Billiglöhne, Hartz IV und steigende Armut, NSA-Spionage und Verletzung der Bürgerrechte, Verwandtschaftsaffären im bayerischen Landtag, Polizeiprügel und Stuttgart 21, steigende Energiekosten und Zwangsgebühren, Migrationsprobleme, Analphabetentum, Waffenlieferungen an Diktaturen, deutsche Soldaten als Kanonenfutter in Afganistan, programmatische Angleichungen bei den etablierten Parteien im Bundestag, Verletzung des Maastrichter Vertrages, „Unwahrheiten“ über die Eurorettung, Diffamierung Andersdenkender in den öffentlich-rechtlichen Medien.

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Eigentlich liegt in Deutschland sehr viel im Argen, gäbe es genug anzupacken, zu verändern. Warum aber regt sich kaum Widerstand?

Der Blick sollte daher zurückgehen in den „Vormärz“, einer prägenden Phase deutscher Landen: Diese beginnt nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa 1815 und dem Wiener Kongress und endet mit der bürgerlichen Revolution, der so genannten „Märzrevolution“ von 1848. Kennzeichnend für diese Zeit ist die äußere Sicherheit bei gleichzeitiger innerer Unterdrückung aller aufkeimenden Ideen des Liberalismus, des Nationalismus und der Demokratie.

Deutsche Patrioten und liberale Reformer mussten erleben, wie ihre Hoffnungen auf dem Wiener Kongress und durch die Karlsbader Beschlüsse 1819 (Verbot der Burschenschaften, Verfolgung von vermeintlichen „Demagogen“, Pressezensur) zunichte gemacht wurden. Diese Entwicklungen verursachten in der Breite der deutschen Bevölkerung allerdings nur geringfügig Entsetzen.

„Stuttgart 21“:

Der Hauptgrund für das große politische Desinteresse vieler Deutscher in dieser Zeit lag vor allem darin begründet, dass die Masse des Volkes jene Stabilität und Sicherheit begrüßte, wie sie durch die Rückkehr (Restauration) zur politischen Vorkriegsordnung erreicht wurde.

Typisch für die Epoche des Biedermeyer ist die Flucht ins Idyll und ins Private. Der Dichter Jean Paul sprach vom „Vollglück in der Beschränkung“, Goethes literarischer Mitarbeiter Johann Peter Eckermann glaubte, „eine reine Wirklichkeit im Lichte milder Verklärung“ zu erkennen.

Willkommen im Biedermeier!

Seit den Wendetagen im Herbst 1989 versucht Deutschland, bestehend aus der alliierten Nachkriegs-BRD und dem „Beitrittsgebiet“ der ehemaligen DDR, sich innerhalb globaler Dynamik zu finden. Die Ideale vieler DDR-Bürgerrechtler und veränderungswilliger Menschen in Ost und West sind inzwischen über Bord gekippt, die nationalen Probleme etwa durch europäische ersetzt worden. Längst gibt die Politik die Ziele vor und ist nicht Dienstleister des Volkes. Wahlergebnisse sind nicht Auftrag, sondern Bestätigungsrituale nebst Freifahrtsschein in die nächste Legislatur.

Suggestiv wird vehement auf eine „erfolgreiche europäische Zukunft“ verwiesen, in der alle Menschen „in Frieden und Wohlstand“ leben werden. Wer jedoch genau hinschaut, bemerkt die restaurativen Einflüsse der alten BRD, unter der nun das gesamte Land steht. Die Geschichte lehrt, dass dies lediglich eine Minderheit erkennt oder erkennen will.

Karikatur 1847

Abbildung oben: In der Karikatur „Die gute Presse“ von 1847 aus unbekannter Feder steht der Krebs für Rückschritt, der Spiegel des Krebses für die Rückwärtsgewandtheit, der Maulwurf für Blindheit, Kerzenlöscher für Dunkelheit, die Schere und Stift für Zensur, die Rute für Drangsal, die Augen für Überwachung, die Kinder für die bevormundete Presse, der Schafskopfspolizist für die Dummheit der Staatsmacht und der Spitz für die Spitzelei. Quelle Wikipedia

Nein, Merkel ist nicht Klemens Wenzel Lothar von Metternich. Dieser stieg 1813 zu einem der führenden Staatsmänner in Europa auf und spielte vor allem auf dem Wiener Kongress eine bedeutende Rolle bei der politischen und territorialen Neuordnung Europas im Sinne eines Gleichgewichts der Mächte. Für das monarchische Prinzip stehend war er ein führender Politiker der Restaurationszeit und bekämpfte die nationalen und liberalen Bewegungen. Es sind Tendenzen, die Deutungen hervorbringen – die Art und Weise, vermeintlich „moderne“ und „europäische“ Politik zu führen. Es kann gut sein, dass sich Geschichte – im Rahmen der jeweiligen politischen Verhältnisse – ansatzweise wiederholt.

Der Dichter Ludwig Pfau verfasste 1847 ein Gedicht mit dem Titel „Herr Biedermeier“, wobei er Spießigkeit und Doppelmoral anprangerte:

Herr Biedermeier

Mitglied der „besitzenden und gebildeten Klasse“

Schau, dort spaziert Herr Biedermeier
Und seine Frau, den Sohn am Arm;
Sein Tritt ist sachte wie auf Eier,
Sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.
Das ist ein Bürger hochgeachtet,
Der geistlich spricht und weltlich trachtet;
Er wohnt in jenem schönen Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Gemäßigt stimmt er bei den Wahlen,
Denn er missbilligt allen Streit;
Obwohl kein Freund vom Steuerzahlen,
Verehrt er sehr die Obrigkeit.
Aufs Rathaus und vor Amt gerufen,
Zieht er den Hut schon auf den Stufen;
Dann aber geht er stolz nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Am Sonntag in der Kirche fehlen,
Das wäre gegen Christenpflicht;
Da holt er Labung seiner Seelen –
Und schlummert, wenn der Pfarrer spricht.
Das führt ihn lieblich bis zum Segen,
Den nimmt der Wackre fromm entgegen.
Dann geht er ganz erbaut nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.

Acht! Wandrer, die gen Westen streben!
Wie rühret ihre Not sein Herz!
Wohl sieht er sammeln, doch zu geben
Vergisst er ganz in seinem Schmerz.
“Ihr Schicksal ruht in Gottes Händen!“
Spricht er – dann geht er auszupfänden,
Nimmt einem Schuldner Hof und Haus
Und leiht sein Geld auf Wucher aus.

Den einzgen, hoffnungsvollem Sprossen –
Denn nicht mehr, das wäre Überfluss -,
Den hält er klösterlich verschlossen:
Die Sünde stammt ja vom Genuss.
Die Mutter führt ihr Küchlein sittig
Wie eine Henne unterm Fittich;
Sie sorgt für strenge Zucht im Haus
Und – leiht ihr Geld auf Wucher aus.

O edles Haus! O feine Sitten!
Wo jedes Gift im Keim erstickt,
Wo nur gepflegt wird und gelitten,
Was gern sich duckt und wohl sich schickt.
O wahre Bildung ohne Spitzen!
Nur der Besitz kann dich besitzen –
Anstand muss sein in Staat und Haus,
Sonst – geht dem Geld der Wucher aus.

Quellen: Wikipedia, Youtube, Privat, weiter:
Epochen: „Vormärz“
Biedermeier
Deutsche Gedichtebibliothek
– Jürgen Lodemann, Lortzing – Gaukler und Musiker (1. Aufl. 2000)

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