Am 1. Oktober 2017 ließ Spaniens Zentralregierung das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum der Katalanen blutig niederknüppeln. Verantwortliche Befürworter der Abspaltung Kataloniens wandten sich hilfesuchend an die EU – und wurden mit dem Hinweis, das Referendum sei illegal gewesen, zurückgewiesen.
Abgesehen von den Urhebern der Bewegung: Diese zutiefst demokratieverachtenden Signale aus Madrid und Brüssel zeigen auf, dass etwas nicht stimmt mit dem „Friedensprojekt EU“, welches in der großen Politik gerne schon einmal – und sicher nicht ganz unabsichtlich – mit „Europa“ gleichgesetzt wird. Denn wer für Europa ist, kann schließlich die EU nicht schlecht finden oder besser: Wer die EU schlecht findet, ist ein erklärter Europa-Feind. Kennen wir, nicht erst seit dem „Brexit“.
Henryk M. Broder über die EU:
Mehr Zentralisierung und ein immer größer werdender Wasserkopf in Brüssel gehen einher mit der zunehmenden Marginalisierung nationaler Identitäten und kultureller Eigenheiten. Ängste der Menschen, dass schlussendlich ein Verlust der Heimat und eine Aufgabe der eigenen Kultur erfolgen könnte, werden im „EU-Zentralkomitee“ sowie bei den treuesten Mitgliedssäulen dieses künstlichen Machtgebildes seit Jahren nicht ernst genommen.
Was das mit Deutschland und den hiesigen Befindlichkeiten im Jahre 2017 zu tun hat? Eine ganze Menge, wie die kürzlich stattgefundene Bundestagswahl gezeigt hat. Und anstatt sich im Angesicht des Wahlergebnisses zu fragen, warum die ehemals großen Volksparteien vom Wähler derart abgestraft wurden, gibt es seit Tagen Pseudoanalysen vor allem über Ostdeutsche sowie das starke Ergebnis der AfD.
Wählerwanderung von der CDU, Bundestagswahl 2017:
So erklären uns Politiker, Politologen und Schreiberlinge aktuell (wieder einmal) die Welt und wie man eigentlich zu wählen hat; machen das Erstarken des “rechten Randes” an der “Schmuddelecke Ostdeutschland” (FAZ) oder besser gleich am ostdeutschen Mann fest. Ein pures Ablenkungsmanöver, vielleicht auch einfach Hilflosigkeit.
Nicht einmal im Traum kommt man scheinbar auf die Idee, dass – ganz deutschlandweit – die Angst vor drohendem Heimat- respektive Kulturverlust eine größere, vielleicht sogar die Hauptrolle spielen könnte. Der Vorsprung an Erfahrungen liegt hier ganz klar bei den Ostdeutschen, haben sie doch vor drei Jahrzehnten schon einmal etwas Ähnliches erlebt. Eine politisch-gesellschaftliche Wende im Schnelldurchlauf – für mehr als nur eine Generation eben jener Heimat- und Kulturverlust.
DDR Volkskammerwahl 1990 – die alte Politik wird abgewählt. Wenige Monate später kommt die deutsche Einheit:
Der Bürgerrechtler Konrad Weiß (damals “Demokratie Jetzt”) schrieb schon 1990 über den Heimatverlust der Ostdeutschen: “Der Aufbruch, der Umbruch hat so viele Bande gelöst, so viele Gegebenheiten verändert, so viele Werte ungültig gemacht. Besonders die Kinder, die jungen Leute schmerzt dieser Heimatverlust.”
„Besonders die Kinder, die jungen Leute schmerzt dieser Heimatverlust.“ ELF99-Doku (1990)
Heute spürt man allerdings auch im Westen der Republik, wie sich ein derartiger Verlust anfühlen könnte. Man mag Thilo Sarrazin als “Provokateur vom Dienst” (Sueddeutsche) bezeichnen, doch mit seinem Buch “Deutschland schafft sich ab” aus dem Jahre 2010 (!) legte er bereits damals den Finger in die Verlustwunde. Es ist nicht die einzige, doch aber eine ganz entscheidende.
Denn was erlebt Gesamtdeutschland seit einigen Jahren? Mehr EU-Zentralismus, Abgabe nationaler Verantwortung und gleichzeitig eine sinnfrei-verantwortungslose Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, vor allem aus archaischen Gesellschaften dieses Planeten. Da werden Verlustängste nicht kleiner, sondern wachsen.
Allerdings kann man am 3. Oktober 2017 feststellen: Möglicherweise sind sich die ehemals beiden so unterschiedlichen Teile Deutschlands so nah wie nie. Es riecht nach Aufbruch in eine spannende Zeit. Und das macht Hoffnung für dieses schöne Land.