Geschichte

Fahrt in die Sowjetunion

Rituale sind so „alt wie der Wald“ und so fuhren Schüler und Lehrlinge auch schon vor mehr als zwei Jahrzehnten hinaus in die große, weite (Ostblock)Welt. 1986 war unser Spanien die Sowjetunion, unser Lloret de Mar hieß Leningrad. Mit dem „Freundschaftszug“ ging es über Berlin-Ostbahnhof in ein fern, so fernes Land, von dem wir zwar im Unterricht erfuhren und doch nichts wussten. War da wirklich nur Birkenwald und Iwanuschka und alles irgendwie stimmungsvoll volkstümlich mit anschließendem Jolkafest?

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Voller Spannung bezogen wir unser Zugabteil in einem grünen Wagen der sowjetischen Staatsbahn und harrten der Dinge. Birkenwald gab`s schon im heutigen Polen, stundenlang nichts als Birkenwald. Wäre da nicht der Zug, den wir bis zum Speisewagen so schön durchwandern konnten, wäre da nicht der dampfende Samowar im Wagen nebst freundlicher Zugbegleiterin, die uns ständig Tee mit Keks ins Abteil reichte – es wäre eine Tour de Langeweile gewesen.

Schanna und Freundin 1986

Zugbegleiterin Schanna (mit der ich noch eine ganze Zeit Briefkontakt inklusive Besuchstermin hatte, diese Weiterbildung dann aber blöderweise aus Loyalität zu meiner damaligen Freundin einstellte) war sehr freundlich und bereitete uns sensibel auf das vor, was da kommen sollte. Ziele der Reise waren Vilnius, Minsk und Leningrad. Genau dort wechselten sich goldene Kuppeln mit maroden Hinterhöfen, Heldendenkmäler mit wodkagegerbten Straßenarbeitern ab. Im offiziellen Reisebus stickte und stank es und alle Touri-Highlights wurden brav abgespult.

Mit Oksana und Rita bekamen mein Kumpel „Hottche“ und ich nach einem Plausch in der Lobby des Hotels unsere privaten Stadtführerinnen, den es wohl vor allem darum ging, ihrerseits überlebenswichtige Kontakte in Richtung Westen (da lag die DDR aus deren Sicht nämlich) zu knüpfen. Wir feierten zusammen im Дворец молодежи auf Zimmer 727, tranken billigen Schampanskoe bis zum Kopfschmerz und sahen Ecken in der Stadt – die mein Sowjetunion-Bild damals nachhaltig beeinflussten.

Gestrichene Fassaden links und rechts der Straßen, dahinter totaler Zerfall. Der Markt mit leeren Regalen reichlich bestückt und bettelnde Kinder, die uns so nervten, dass wir Zigarettenschachteln und harte Ost-Kaugummis kurzerhand in Richtung Kinder warfen und die Flucht ergriffen. In einer düsteren Seitenstraße wurden wir vierzig Jahre nach dem letzten Krieg schon mal als „Faschisten“ beschimpft und trotzdem war alles hell in den „weißen Nächten“, schob der gefühlte halbe Ostblock an der Newa eine Party.

Dummerweise waren wir auf der anderen Seite des Flusses gelandet und die Brücken wollten erst wieder am Morgen geschlossen werden. Ein Taxifahrer kannte einen „Geheimweg“ zum Hotel und fuhr uns – ohne Rücksicht auf sich, uns und seine Stoßdämpfer – für wenig Geld zurück.

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