Geschichte

Verklärung vs. Verdammung

War die DDR der deutsche Idealstaat oder eine Ausgeburt der Diktatur? Wo keine eindeutigen Antworten zu finden sind, da hilft bekanntlich Verklärung weiter. In die eine oder andere Richtung. Der Deutsche an sich kann – kulturgeschichtlich gesehen – nicht anders. Er glaubt, sich immer entscheiden zu müssen.

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So wird die DDR im privaten Rückspiegel einerseits häufig auf ”die gute, alte Zeit” und unter marketingstrategischen Aspekten gleich auf ”Ostalgie” reduziert. Auf der anderen Seite steht da eine ”Diktatur des Proletariats”, deren ehemalige Amtsträger heute durchweg Verbrecherimage genießen. Ein ”dazwischen” oder gar ein ”sowohl als auch” wäre zu kompliziert vermittel- und schon gar nicht politisch verwertbar.

Man stelle sich vor, ein Spitzenpolitiker einer Regierungspartei würde nur wenige Tage nach einem Besuch der ”Gedenkstätte Berliner Mauer” lobende Worte über das verflossene DDR Schul- und Kitasystem loswerden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dieser Mensch politisch erledigt wäre und mit ihm alle eigenen Urlaubs- und Reihenhausträume. Überhaupt ist es ein besonders zäher Fetisch zahlreicher Politiker, dann und wann an die leidenden Menschen ”da drüben” im Osten vor der ”Wende” zu erinnern. Sie hatten nichts und keine Chance auf ein Westleben in Demokratie und Freiheit. Nicht selten sagt mir ein Wessi durch die TV-Glotze, wie es mir damals eigentlich ging – oder zu gehen hatte.


 

Dieses Gefühl beschlich mich schon vor vielen Jahren, als ich im Leipziger ”Zeitgeschichtlichen Forum” (auch manchmal liebevoll als ”Helmut-Kohl-Museum” bezeichnet) in einer Ausstellung Alltagsprobleme wiederfand, von denen ich zu Lebzeiten der DDR nicht einmal annähernd wusste und sie demnach auch nicht wirklich als Minderung meiner Lebensqualität empfand. Große Politik und die eigenen historischen Recherchen gleichzusetzen mit dem gefühlten und gelebten Leben der eigentlichen Protagonisten scheint mir noch immer der Kardinalfehler deutscher Historiker zu sein. Daran ändern auch gefühlte 2459 Wiederholungen pädagogisch-wertvoller TV-Dokumentationen nichts.

Doch auch ”Ostalgie” macht die DDR nicht besser. Zahlreiche Webprojekte drehen sich rein um Fragen wie ”… kennt ihr noch und wisst ihr noch?”. Pittiplatsch und Schnattchen, Kaufhalle und Korbine Früchtchen, LPG und Badusan. In der kollektiven Rückbesinnung (das wussten schon unsere Vorfahren) ist vieles halb so dramatisch, halb so schlimm. Nein, kaum jemand war bei den Pionieren, geschweige denn, in FDJ oder SED. Die Ausblendung erfolgt dann, wenn das eigene Ich den Drang verspürt, sich entscheiden zu müssen. Diese Form der Erinnerung hat – zumindest psychologisch – allerdings Vorteile: Sich an etwas positives zu erinnern ist in jedem Falle günstiger, als täglich zu wissen, irgendwie Teil einer bösen Diktatur gewesen zu sein.


 

Eine gute Form, ein annähernd dokumentarisches ”Patt” zu schaffen und Verklärung zu mindern, wäre die politische und gesellschaftliche Aufarbeitung der westdeutschen Geschichte – vor allem durch die Ostdeutschen. Arbeitslosigkeit und RAF, VW Käfer und D-Mark. Wir Ossis sagen denen, wie sie wirklich gelebt haben – oder in der Rückbetrachtung zu leben hatten. Gute Idee? Vielleicht, doch sie dürfte keine Lobby finden.

Gesucht werden also neue Betrachtungsweisen auf das 1990 aufgelöste Land, wo neben Mauer und Mangel, Stasi und Stacheldraht auch Kinderfreundlichkeit, geringe Kriminalität, fehlende Arbeitslosigkeit und ein – für jene Zeit – vorbildliches Schul- und Kitasystem hineinpassen. Und natürlich auch Schnattchen.

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